Aktivität und Heilung- Heilaktivität in der geistigen Schulung im Vergleich zur Passivität bei der Geistheilung
In der Heilkunde spricht man vielfach von Selbstheilungskräften, die einen Erkrankten genesen lassen. Dabei könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass man selbst nichts zur Heilung beitragen müsse, da diese Kräfte ja wie von allein wirken. Eine Wunde heilt wieder zu und ein gebrochener Knochen wächst zusammen. Aber ist das die ganze Wahrheit? Sicherlich nicht. Vielmehr scheint es aktuell so, dass die dem Menschen zur Verfügung stehenden Selbstheilungskräfte nicht mehr ausreichen, um die Krankheiten der Zeit mit ihrer Komplexität in Richtung Gesundheit steuern zu können. Es braucht heute mehr als früher eine gesunde Aktivität des Menschen selbst, ein aktiv geführtes Bewusstsein, damit Kräfte zur Heilung entstehen können.
Krankheiten vermitteln oft das Gefühl, dass Ruhe, Erholung und Schonung notwendig sind. Was in akuten, vielleicht fieberhaften Zuständen durchaus einmal normal ist, erweist sich jedoch über eine längere Zeit als ungünstig. Denn so entsteht ein verhängnisvoller Kreislauf der Passivität, der zu weiteren Verschlechterungen führt. Die vom Körper und Gefühl vorgegebenen Grenzen, die für andere manchmal sogar irrational oder bizarr klingen, bringen nur allzu oft Komplikationen mit sich. So sagte einmal ein Patient, der mit einem Virusinfekt im Bett lag, er hätte außerhalb seines Bettes keine Überlebenschancen mehr. Er ließ sich von diesem Gefühl leiten, verließ sein Bett nicht mehr und zog sich in der Folge aufgrund mangelnder Kreislaufbelastung, Bewegung und Durchlüftung der Lungen eine Pneumonie zu.
Grenzüberschreitende Aktivität
Für Gesundwerden und Heilung erscheint es wie eine dringliche Forderung, gerade diese von Körper und Gefühl vorgegebenen Grenzen zu durchbrechen. Es geht nicht darum, „mit dem Kopf durch die Wand zu gehen“, sondern vielmehr darum, dass der Mensch diesen Vorgang der gesunden, grenzüberschreitenden Aktivität gezielt erlernt. Dieser Schritt erfordert eine gute Vorstellungskraft, rhythmische und ausdauernde Prozesse sowie Entscheidungen. Grenzüberschreitende Aktivität erscheint wie ein Schlüssel zu ersten Heilprozessen.

Das noch unentdeckte Gebiet auf der anderen Seite der Grenze stellt Neuland dar. Es zu betreten erfordert einen Neubeginn. Krankheiten führen Menschen an Grenzen und Entwicklungspunkte. Sie können als ein Weckruf der Seele gesehen werden, einen neuen Entwicklungsschritt, der bislang mangelte, zu entdecken und anzugehen. Krankheiten können daher die Bereitschaft zu Aktivität und Neubeginn
verstärkt motivieren.
Neben dieser Bereitschaft zu Grenzüberschreitung und Neubeginn gibt es weitere sehr wertvolle Heilaktivitäten. Diese werden beispielsweise in Unterrichtseinheiten an der Hochschule für Yoga und Spiritualität in Naone angeboten. Im Zusammenhang mit der Schule und ihren Dozenten – hier sei an erster Stelle Heinz Grill genannt – fallen grenzüberschreitende Aktivitäten leichter. Einerseits werden sie in Übungen mit Hilfe von konkreten Vorstellungsbildern bewusstseinsmäßig erfassbar aufgebaut und andererseits stellt sich im Anschluss leicht eine feine Empfindung von Freude über das Gelingen ein.
Der Weg von oben nach unten
Die Asana-Übungen eignen sich hierfür sehr gut. Sie bedürfen jedoch einer großen Selbstaktivität. Die Asanas, also die einzelnen Stellungen des Yoga, wie sie von Heinz Grill für die Schule konzipiert wurden, werden nicht als bloße Übungen des Körpers oder zur Energieaufladung praktiziert. Vor dem körperlichen Einsatz steht die bedeutsame Heilaktivität der mentalen Auseinandersetzung mit der Übung. Hier kommt das Bewusstsein zum aktiven Einsatz. Es gibt sehr viele verschiedene Möglichkeiten, wie man ein Vorstellungsbild zur Übung hinzunimmt: Sei es das Bild der Spannungsverteilung des Körpers in der Asana, die bewusste Aufmerksamkeit auf ein Zentrum oder Chakra während der Ausführung oder das Bild einer für die Asana charakteristischen Bewegungsdynamik. Nachdem das Bild als Vorstellung real existiert, erfolgt die einsatzkräftige und heilaktive Umsetzung mit dem Körper. Während der Übung bleibt das Bewusstsein aktiv, indem das Vorstellungsbild und die Aufmerksamkeit gegenüber dem Körper aktiv aufrechterhalten werden.

Bewegungsrichtung im Krankheitsprozess 1 und Gesundungsprozess 2
Mit 1 ist Bewegungsrichtung vom Körper ins Bewusstsein aufsteigend dargestellt. Bei Prozess 2 hingegen wird vom Bewusstsein etwas in den Körper hinein gegliedert.
Wie kommt es, dass mit diesem Übungsansatz eine besondere Heilaktivität verbunden ist ?
Krankheiten zeichnen sich – wie oben angedeutet – dadurch aus, dass sie, wie von unten nach oben oder vom Gröberen zum Feineren, das Bewusstsein mit allerlei körperlichen Symptomen, Schweregefühlen und materiellen Nöten beladen. Diese Eindrücke, die aus dem Körper kommen, belagern, besetzen oder beschneiden das an und für sich vom Körper unabhängige Denken und Empfinden.
Mit der oben beschriebenen Übung, die im Sinne der Neuen Yoga-Empfindung ausgeführt wird, erzeugt der Übende nun eine genau gegensätzliche Richtung im Verhältnis von Bewusstsein und Körper während einer Krankheitssituation. Von oben nach unten erfolgt nun die Ausrichtung. Von einer im Feinstofflichen und Lichten angesetzten, mentalen Aktivität, die in der Vorstellungsbildung und sensiblen Wahrnehmungstätigkeit besteht, erfolgt die Umsetzung unmittelbar bis zur bewusst geführten Ausformung des Körpers. Vom Bewusstsein ausgehend wird etwas auf die körperliche Ebene übertragen. Durch die Aufrechterhaltung der vorgenommenen Bewusstseinsinhalte gegenüber den Spannungen des Körpers während der Übung entsteht die Fähigkeit, das Bewusstsein unabhängiger vom Körper zu führen. Die Freiheitsgrade gegenüber dem Körper werden in der gezielten Bewusstseinsaktivität größer. Nicht mehr der Körper mit all seinen Eindrücken dominiert das Bewusstsein, sondern in den sensiblen Momenten der Übung gewinnt das Aktivsein im Bewusstsein eine größere Freiheit gegenüber dem Körper. Dies ist heilsam, da diese Form der Aktivität jedem Krankheitsprozess, egal welcher Art, in seiner Dynamik diametral gegenübersteht.
Eine weitere Möglichkeit der Heilaktivität, die unmittelbar mit den Asana-Übungen im Zusammenhang steht, ist die Förderung der Aufrichtekraft des Menschen. Mit Übungen, die eine Dynamisierung aus der Wirbelsäule zulassen, ist bei jeder Erkrankung ein großer Heilwert gegeben. Bogen, Kopf-Knie-Stellung oder der Sonnengruß mit seinen zwölf Teilbewegungen fördern bei rhythmisch aufgebauter Selbstaktivität die Eigendynamik der Wirbelsäule zur Aufrichtung. Diese Möglichkeit ist eine der wesentlichsten beginnenden Heilaktivitäten bei jeder Erkrankung, physischer und psychischer Art. Sie verleiht dem Erkrankten eine würdigere Haltung gegenüber dem Leben, eine mehr angehobene lichtere Bewusstseinskraft und klarere Übersicht. Aus diesen Elementen heraus sind in der Folge neue Schritte im Gesundwerden leichter möglich.
Textarbeit als grenzüberschreitende Heilaktivität
Ein wesentlicher Bestandteil der heilaktiven Arbeit in Naone ist die Bewusstseinsdisziplin der Textarbeit. Hierbei nehmen sich die Teilnehmer einer Gruppe einen gemeinsamen Text vor, den sie gemeinsam laut lesen, gedanklich aufbauen, sich vorstellen und mit der Zeit auch auswendig mit einer schön geformten rhetorischen Geste im Raum gestalten. Als Texte werden vor allem spirituelle Texte wie Meditationsinhalte von Heinz Grill oder anderen Geistlehrern verwendet. Diese Texte enthalten seelisch-geistige Gesetzmäßigkeiten und es liegt ihnen eine spirituelle Kraft inne.

Worin besteht bei dieser Disziplin die Heilaktivität? Sie liegt darin, dass der Einzelne lernt, sich bei dieser Aktivität zu einem gewissen Grad selbst loszulassen. Er lernt, seinen Willen für Augenblicke zurückzunehmen. Er versucht nicht, den Text intellektuell zu erfassen oder willentlich zu verstehen. Es geht nicht darum, ihn so wiederzugeben, wie man ihn selbst schnellfertig verstehen würde. Vielmehr soll der Text in seiner Originalität erlebbar werden. Der Einzelne verweilt einerseits gedanklich oder sprechend aktiv im Inhalt des Textes, andererseits schult er sich in einem sensiblen Hören und Wahrnehmen. Sein bisheriges Wissen und seinen gewohnheitsmäßigen Willen nimmt er für diese Momente völlig zurück. Je besser ihm dies gelingt, desto lebendiger und intensiver erstrahlt der Text im Raum.
Hier entsteht die bereits angedeutete grenzüberschreitende Heilaktivität in besonderem Maße. Die Grenze des Subjektiven wird überschritten hin zu einer seelisch-geistigen und somit objektiven Wahrheit, die im Text liegt. Während der Übung lebt das Bewusstsein nicht in den mit der Krankheit einhergehenden Problemen und Heilungswünschen, sondern in einem größeren, weiteren und lichthafteren Umkreis, der im Raum mit dem Text aufgebaut wird. Gerade dieser Abstand zu den mit der Krankheit verbundenen, subjektiven und schweren Bewusstseinsanteilen ermöglicht es, dass neue, aus dem Gedanken kommende und im Text aktiv aufgebaute Licht- und Wärmekräfte entstehen können. Diese wirken auf den Menschen heilsam, formend und gestaltend.
Auffällig ist, wie diese beschriebenen Heilaktivitäten die Formbildekräfte im Menschen anregen. Dies ist beispielsweise in seiner Physiognomie deutlich wahrnehmbar. Das Gesicht erscheint in seinen Formen klarer, durchlichteter und strukturierter, ohne dabei aber abgeschlossen oder hart zu wirken. Es öffnet sich sogar mit interessiertem, nach Außen gerichteten Blick mehr der Umgebung.
Die Heilaktivität beginnt in dem hier vorgestellten Übungs- und Schulungskonzept nicht im Problemkreis der eigenen Krankheit, denn dort ist das Bewusstsein wie gebunden. Es erscheint vielmehr wie ein äußerst eleganter Kunstgriff im Sinne einer erweiterten Form der Therapie, dass die größte Aktivität dort eingesetzt wird, wo das Bewusstsein freie Ressourcen und offene Möglichkeiten aufweist. Das zeichnet die Arbeit in Naone aus. Körperliche Aktivitäten kommen dabei aber nicht zu kurz. Allein der etwa
tägliche, halbstündige Aufstieg zur Hochschule sowie Bergwanderungen ermöglichen grenzüberschreitende Bewegungselemente, die für ein ausgeglichenes Leib-Seele-Verhältnis und vegetatives Gleichgewicht sorgen.
Geistheilung im Unterschied zur Heilaktivität
Die seelisch-geistige Dimension, die an der Hochschule in der Person von Heinz Grill unmittelbar und in Form von konkreten Gedanken- und Empfindungsinhalten mittelbar erfahrbar ist, spielt eine zentrale Rolle in der Heilaktivität. Auch bei den sogenannten Geistheilungen wird eine geistige Dimension erwähnt. Ein Vergleich dieser beiden Heilansätze kann Aufschluss über den Umgang mit dieser Ebene geben. Der Begriff „Geistheilung” fasst verschiedene Methoden und Techniken zusammen, denen im Großen und Ganzen gemeinsam ist, dass Heilung durch die Energieübertragung eines als Medium dienenden Heilers oder einer Heilerin stattfindet. Der Heiler oder die Heilerin sieht sich dabei in Verbindung mit einer geistigen, heilkräftigen Energie. Seine Begabung als Heiler ermöglicht ihm einerseits eine Hellfühligkeit, mit der er Störungen im körpereigenen Energiefeld des Menschen wahrnehmen kann, und andererseits, die Heilenergie durch sich fließen zu lassen.

Der Mensch, der die Heilung empfängt, bleibt dabei ganz passiv. Manchmal erlebt er ein Durchströmtsein oder Wärmephänomene in seinem Körper. Manche Heiler lösen mit bestimmten Techniken eine Trance oder ein neurogenes Zittern aus. Dabei werden zitternde und sich schüttelnde Bewegungen zur Ableitung von unbewussten Spannungszuständen genutzt. Gesundheitliche Verbesserungen oder gar Heilungen durch diese Methoden werden immer wieder beschrieben. Charakteristisch ist, dass der Patient an diesem Heilprozess ohne unmittelbare Kontrolle, Führung und Anteilnahme des Bewusstseins, also passiv, teilnimmt. Er nimmt bei der Geistheilung eine Energie in sich auf, die er nicht bewusst wahrnehmen kann und die ihm daher fremd bleibt. Unbewusst Aufgenommenes bleibt im Menschen unverarbeitetes Fremdes. Es ist in der Regel nicht in gleicher Weise in die Persönlichkeitsentwicklung integrierbar wie Inhalte, die man aktiv in einem Lernprozess erworben hat. Aktiv Erlerntes, das durchaus mit Mühe und Anstrengung errungen werden musste, prägt sich bis in neu hinzukommende neuronale Strukturen im Gehirn hinein. Es steht dem Menschen dann als bewusstes Werkzeug im Sinne von Fähigkeiten und Kompetenzen zur Verfügung. Passiv aufgenommene Heilenergien hingegen können zwar Körperenergien ausgleichen und eventuell Blockaden im Fluss der Körperenergien auflösen, jedoch wird dabei nichts aktiv in die Entwicklung geführt.
Im Bereich der Heilung erscheint folgende Frage als sehr wesentlich: Wie ist die Stellung des Ich bei einer Heilung? Das Ich oder Selbst beschreibt die geistige, kreative Kraft, nicht das Ego, sondern das erlebbare, feinere Selbstbewusstsein. Wenn diese Instanz beim Heilungsprozess aktiv und in vollem Umfang bewusst beteiligt ist, entstehen Entwicklung und Fortschritt. Heilung ist somit ein Neubeginn und eine Verwandlung, und sie ist aktiv durch bewusst geführte und selbstbestimmte Heilungsschritte hervorgerufen. Bei der Geistheilung hingegen wird die Dimension des bewussten Ich-Erlebens nicht berührt. Es findet noch keine Entwicklung statt. Man möchte eher eine kosmische oder geistige Kraft für die eigene Heilung nutzen, ohne jedoch um ein Verständnis dessen zu ringen, was es mit diesen lebendigen Dimensionen des Lebens auf sich hat.
Geistheilungen werden unter anderem damit erklärt, dass sie die Selbstheilungskräfte des Organismus anregen. Bei der Heilaktivität mit geistigen Inhalten lernt der Mensch hingegen, selbst Heilkräfte zu entwickeln, die nicht nur ihm selbst, sondern auch seinem Umfeld zugutekommen. Diese durch Heilaktivität selbst geschaffenen Lebenskräfte sind in ihren differenzierten Wirkungen bis in die Physiologie des Körpers hinein erforschbar.