Eine wesentliche Aufgabe des Nervensystems ist die Wahrnehmung und Weiterleitung von Sinneseindrücken aus der Außenwelt. Diese werden durch die Sinnesorgane wie Augen und Gehör, Geschmack und Geruch oder auch durch Nervenrezeptoren für Berührung, Schmerz, Temperatur, Muskelspannung, Gelenkstellung und Gleichgewicht aufgenommen. Die Nervenfasern leiten die aufgenommenen Informationen an das Gehirn weiter.
Ein gesundes und kräftiges Nervensystem ist in der Lage, die aus der Außenwelt kommenden Reize in sensibler Weise wahrzunehmen und bewusst zu verarbeiten. Es ist in sich gefestigt, ruhig und gleichzeitig offen nach Außen gerichtet.
Heute erleben jedoch viele Menschen Unruhe, Nervosität, Reizbarkeit und ein Überspanntsein der Nerven oder auch gedrückte, erschöpfte Gemütsstimmungen, die eine konzentrierte Wahrnehmung nach Außen zu den Mitmenschen oder einer konkreten Sache wie unmöglich erscheinen lassen. Die aufgenommen Eindrücke wirken überfordernd und können nicht mit einer gesunden selbstbestimmenden Kraft beantwortet werden.
Anhand einer bewusst gelenkten Ausführung von Yoga-Übungen ist es nun möglich, eine heilsame Wirkung auf das Nervensystem zu erzielen. Welche Bewusstseinselemente die Übung dabei begleiten und wie in der Folge ein stärkender Effekt auf das Nervensystem zu Stande kommt, soll in diesem Artikel anschaulich und logisch nachvollziehbar dargestellt werden.
Man nehme sich beispielsweise die Halbmond-Stellung vor. In der einleitenden Phase der Übung bildet man aus einem Gedanken eine möglichst konkrete Vorstellung, mit der man die Übung dann begleitet. Beispielsweise das Bild, dass in dem Halbmond zwei Bewegungsrichtungen zum Ausdruck kommen. Die erste Richtung liegt im Einsinken in den Stand mit der möglichst nahen Annäherung des Beckens an den Boden. Die zweite Dynamik richtet sich nach oben mit einen Spannungsaufbau in die Rückwärtsbeuge der Wirbelsäule und angehobenen Armen.
Nach Aufbau des Vorstellungsbildes ergreift man den Körper und führt ihn in eine erste Form des Halbmondstandes hinein. In der eingenommenen Körperstellung erfolgt dann eine Ruhephase, in der die Vorstellung der beiden Bewegungsrichtungen erneut bewusst aufgebaut wird und eine Wahrnehmung zum Körper hin erfolgt, in wie weit dieser schon dem idealen Vorstellungsbild entspricht. Nach etwa 20 Sekunden des unbewegten körperlichen Verharrens bei gezielter mentaler Tätigkeit, werden die beiden Bewegungsrichtungen erneut in eine dynamische Ausformung mit dem Körper gebracht.
Diese beiden Phasen der Übung, Ruhe und Aktivität, werden im Wechsel noch zwei- bis dreimal, je nach Vermögen, ausgeführt. Die Kraft des Bewusstseins wird herausgefordert, indem das motorische Element zurückgehalten und eine sensible Wahrnehmung zur Vorstellung und zum Körper aufrecht erhalten wird. Dies geschieht sogar in besonders intensiver Weise, da sich der Körper in einem Spannungszustand befindet.
Nach einer derart gestalteten Übung fühlt sich der Praktizierende wach und erfrischt, zentrierter in sich und doch offen nach außen. Dieses Praktizieren setzt Heilwirkungen frei, die sich beispielsweise im Nervensystem zeigen.
Das Nervensystem vollzieht seine Funktionen mittels elektrischer Potenziale, die im Nervenkörper erzeugt und entlang ihrer Fasern weitergeleitet werden. Ist eine Nervenfaser der Haut beispielsweise irritiert im Sinne einer Neuralgie, dann reagiert sie überempfindlich. Kleinste Berührungen oder schon ein Windhauch reichen aus, um Salven von elektrischen Aktionspotenzialen hervorzurufen, die dann als Schmerzen wahrgenommen werden. Der Nerv ist infolge zu intensiver und auch unkontrolliert ablaufender elektrischer Potentiale überreizt. Ähnliches geschieht im sensorischen Nervensystem, also den Teilen des Gehirns, die die Sinneseindrücke aufnehmen und verarbeiten, wenn zu viele und zu unkoordinierte Informationen einprasseln. Die Nerven „feuern“ zu stark.

Am Ende eines jeden Dendriten sitzt mindestens eine Synapse, die Reize von anderen Nervenzellen aufnehmen.
Die Axone, die mit eine Isolierschicht (hellblau) umhüllt sind, übermitteln Reize an andere Zellen.
Durch die ständig funkende elektrische Überreizung der Nerven in solchen Situationen ist die gesunde Wahrnehmungsfähigkeit stark beeinträchtigt. Weder der neuralgische Nerv noch das überforderte Gehirn können ihrer Aufgabe, sensibel wahrzunehmen, nachkommen. An dieser Stelle setzt nun der heilsame beruhigende Effekt der oben beschriebenen Übung an. Die bewusst getätigte und länger gehaltene Wahrnehmung, die zu einem konkreten Objekt gerichtet ist, fördert die ruhige Sensibilität im Nervensystem. Sensibilität entsteht durch ruhiges Beobachten der konkret aufgebauten mentalen Vorstellung und des Körpers, der wie zu einem beschaulichen Instrument oder Objekt der Ausführung wird. Die überschießenden elektrischen Impulse werden in Zaum gehalten, geordnet und weichen zurück. Der Nerv beruhigt sich und festigt sich wieder in seiner Substanz.

Ein weiterer Effekt derjenigen Übungen, in denen der Lernschritt erfolgt, das Bewusstsein trotz körperlicher Spannungsverhältnisse in einer ruhigen und empfindsamen Beobachtungsphase gegenüber dem Körper zu halten, betrifft die Neurotransmitter. Das sind kleine Boten-Moleküle, die Informationen zwischen zwei benachbarten Nervenzellen vermitteln. Die elektrische Leitung entlang der Nervenfaser wird in dem kleinen Spalt (Synapse) zwischen zwei Nervenzellen unterbrochen. Die Signalübertragung erfolgt hier durch biochemische Vorgänge mittels verschiedener Neurotransmitter.
Die Effektivität der Übertragung hängt nun stark von der Menge dieser Botenstoffe im synaptischen Spalt ab und hat einen sehr starken Einfluss auf das Bewusstsein des Menschen. So ist beispielsweise in der medizinischen Wissenschaft bekannt, dass zu hohe Konzentrationen von Noradrenalin, das besonders bei hohem Stressniveau vermehrt vorhanden ist, die kognitiven Prozesse wie Denken und Wahrnehmen vermindern. Oder dass zu geringe Spiegel des Botenstoffes Serotonin mit Ängsten und Depressionen einhergehen1. Hingegen – und das ist etwas hoch interessantes – haben gesunde Lernprozesse einen sehr positiven Effekt auf die Neurotransmitter im synaptischen Spalt. Für das Lernen günstige Neurotransmitter werden vermehrt gebildet, was dazu führt, dass Impulse von einer Nervenzelle zur nächsten effizienter übertragen werden2. „Lernen findet an den Synapsen statt“, so eine prägnante Aussage im genannten Video. Durch aktive Lernprozesse erfährt vor allem das zentrale Nervensystem, das Gehirn, in seiner Physiologie eine stabilisierende Funktionsverstärkung.
Sicherlich ist die oben dargestellte Übungsweise mit ihrer Intensität in der Führung von Bewusstsein und Körper zuerst einmal ungewohnt und muss erlernt werden. Aber genau in dem Prozess, sich Neues anzueignen, neue Fähigkeiten zu erlernen, liegt eine Quelle für die Gesundheit. Lernprozesse gehen sogar einher mit morphologischen Veränderungen im Gehirn, man spricht von der Fähigkeit des Gehirns zur Plastizität. Dies bedeutet, dass durch das Lernen Nervenzellen und ihre Synapsen um- und aufgebaut sowie neu gebildet werden können. Man weiß heute, dass genau diese Prozesse das Gehirn stärken, es jung erhalten und prophylaktisch gegen Abbauprozesse, wie sie beispielsweise bei der Demenz vorkommen, wirken.
Zusammenfassend lassen sich die gesundheitlich positiven Wirkungen des Erlernens und Ausführens von Yoga-Übungen, die mit bestimmten Bewusstseinsanforderungen verbunden sind, beschreiben. Auf das Nervensystem bezogen zeigen sich diese zum einen in der Physiologie, das heißt in den lebendigen Abläufe der Nervenfunktion. Der Nerv wird in seiner elektrischen und biochemischen Leit- und Übertragungsfähigkeit beruhigt, gestärkt und gefestigt. Zum anderen verändert sich durch das Erlernen von neuen Inhalten die Morphologie des Nervensystems, indem neue Zellen und Synapsen gebildet werden.
Anmerkungen:
- www.adxs.org/de/page/102/neurotransmitter-bei-stress Link abgerufen am 27.4.2025 ↩︎
- www.youtube.com/watch?v=EGKTH60rvoU Link abgerufen am 27.4.2025 ↩︎